Das Ende einer Ära oder der Tod einer außergewöhnl

Wie die Schülerläden kamen und gingen und wie sie in der Zeit die Gesellschaft veränderten.

1. Wie und warum alles begann !
Im Frühjahr 1968 waren in vielen Bezirken West-Berlins sogenannte "Basisgruppen" gebildet worden. Diese Basisgruppen bestanden größtenteils aus Studenten, die versuchten, ihre politische Arbeit bezirklich zu organsieren und damit ihre Aktivitäten aus der Universität hinaus in die einzelnen Stadtteile und Betriebe zu tragen. Aus einer dieser Betriebsbasisgruppen entstand ein Kinderladen. Über Anzeigen in der linken Presse, Aushänge in den Universitäten und Mundpropaganda wurde die Gründerversammlung für den Kinderladen angekündigt. Treffpunkt war der von der Basisgruppe gemietete Laden, in dem sie ihre Sitzung abhielt. Die Eltern von 20 Kindern waren gekommmen. Es gab unterschiedliche Motive, für die einen sollte es eine Selbsthilfeorganisation mit "politischer Bedeutung" sein, für andere einfach ein Betreuungsplatz, einen Ausweg aus der Notlage, in der sie steckten. Denn zu der Zeit fehlten in West-Berlin über 100.000 städtische Kindergartenplätze. So begann es also und andere taten es Ihnen gleich. Natürlich bedurfte es viel Energie, Zeit und Engagement, um zusammen zu finden und gemeinsam eine neue pädagogische Kultur und Landschaft zu schaffen. Mit der Zeit vollzog sich dasselbe im Hortbereich und somit lag es nur allzu nah, die ersten "Schülerläden" zu gründen. Mit der Zeit wuchs die Bevölkerung, der Staat nutzte die Möglichkeit der freien Träger und sparte dabei sogar noch Geld. Man muss wissen, dass die Kinder- und Schülerläden von je her selbstverwaltet - und durch das ehrenamtliche Engagement der Eltern und der Erzieher äußerst kosteneffizient - arbeiten. Ebenfalls mit der Zeit kristallisierten sich immer mehr fundierte pädagogische Ansätze aus der Arbeit heraus. Das trug dazu bei, dass veraltete und zweifelhafte Erziehungsmethoden in Frage gestellt wurden und neue Erfahrungswerte unters Volk gebracht werden konnten. Ein nicht ganz unwichtiger Nebeneffekt war, dass die Menschen eigenverantwortlich lernten und arbeiteten, was, wie man heute sieht, immer weniger der Fall ist. Man verlässt sich auf den Staat, der wird sich schon drum kümmern. Hier waren und sind Menschen dabei, selbst Verantwortung zu übernehmen.

2. Was sind eigentlich Schülerläden und wie vollzog sich Ihre Entwicklung ?
Schülerläden sind kleine selbstverwaltete Horte, mit eigenen pädagogischen Konzepten, in denen Grundschulkinder betreut werden. Die Gruppengröße in den Schülerläden schwankt zwischen 15 und 22 Kindern. Die Kinder werden in der Regel von einem zweiköpfigen Team betreut. Schülerläden sind in der Regel von 10 - 17 Uhr geöffnet, in den Ferien meist ganztägig. Aber es hierbei zu belassen, wäre falsch, denn Schülerläden sind mehr, viel mehr. Sie sind ein soziales Forum, in dem Eltern Erfahrungen austauschen können, sich Anregungen holen können, mit eingebunden sein können, mitentscheiden und miterleben können. Ferner sind sie für die Kinder kleine familiäre Inseln, in denen die Möglichkeit existiert, auf die jeweiligen Bedürnisse und Probleme eingehen zu können. Sie sind wichtige kind-, eltern-, wohnort- und umfeldorientierte Betreuungseinrichtungen und bilden damit ein wichtiges Bindeglied in einer immer anonymer, konkurrenzorientierter und gewalttätiger werdenden großstädtischen Umgebung. Die Mitbestimmung der Kinder im Schülerladen und ihre Wahrnehmung als eigenständige, ernstzunehmende Individuen hat eine bis in die Anfänge der Kinder- und Schülerladenbewegung zurückreichende Tradition. Erzieher/innen und Eltern sind im Schülerladen nicht Rädchen bzw. Störfaktor im Großbetrieb "Betreuungseinrichtung", sondern aktive und engagierte Mitarbeiter. Dies ermöglicht den gleichberechtigten Umgang miteinander und eröffnet Erzieher/innen die Chance selbstbestimmten Arbeitens und gibt den Eltern die Gewißheit, mit Ihren Vorstellungen ebenfalls ernstgenommen zu werden. Zwar ist es schwierig bis unmöglich, die Arbeit der Schülerläden unter ein einheitliches pädagogisches Schlagwort zu fassen - zumal Vielfältigkeit eine der Qualitäten der Schülerladenszene ist - , aber gemein ist uns doch eine reformpädagogische Orientierung die von der Eigenständigkeit, der Individualität und der Kreativität aller Beteiligten ausgeht.
Angefangen hatte es mit einer Handvoll. Mittlerweile sind es allein in Berlin um die 150 Schülerläden mit insgesamt ca. 4.300 Plätzen. All das entstand im Laufe der Zeit. Viele neue pädagogische Bücher wurden verfaßt, neue Sichtweisen entdeckt und somit wuchs das soziologische Verständniss immer mehr und trug zur Entwicklung unserer Gesellschaft bei. Allerdings leider nur in kleinem Maße.


3. Kiezweite Vernetzung oder Wie wir teilnehmen an dem was uns umgibt !
Die meisten Schülerläden sind in sogenannten Ladenwohnungen und verfügen somit auch über ein großes Schaufenster und eine Ladentür. Das ist eine wichtige Schnittstelle in der Kommunikation mit der Welt draußen, die uns umgibt. So werden die Schaufenster auf unterschiedlichste Art und Weise gestaltet und dekoriert. Hier haben die Kinder nicht nur die Möglichkeit, Bilder aufzuhängen und Farbe auf das Glas zu bringen. Vielmehr haben sie ein direktes Sprachrohr nach draußen, mit dem sie direkten Bezug auf das Tagesgeschehen in der Welt und in Ihrem Kiez nehmen können.
Ein Beispiel: Im Jahr 2003 als sich abzeichnete, dass es in der Golfregion zu einer militärische Intervension durch die Amerikaner kommen würde, wurde weltweit gegen Krieg demonstriert. Die Kinder bekamen das alles durch die Medien mit und manche Eltern demonstrierten gemeinsam mit ihren Kinder. Sie sprachen über das, was die Kinder sahen und fühlten. Nun wollte ein Schülerladen seinen Kindern die Möglichkeit bieten, das Ladenfenster als ihre Stimme zu nutzen. Die Kinder entschieden sich dafür, Bilder zu malen und Texte zu schreiben, in denen die Regierungen verschiedenster Ländern und Erwachsene im allgemeinen angesprochen werden sollten. Die Kinder hatten so die Möglichkeit, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen und darüber hinaus entwickelten sie selbstständig die Idee eine Unterschriftenliste gegen einen möglichen Krieg. In Anleitung durch ihren Erzieher erstellten sie diese, hingen eine mit einem Kugelschreiber versehen an das Ladenfenster und beschlossen mehrere Kopien zu machen und diese in den umliegenden Läden auszulegen. Die Kinder sprachen alles mit ihrem Erzieher durch, planten die Unterschriftenaktion und zogen in Dreiergruppen in die umliegenden Läden. Dort trugen sie ihr Anliegen vor und kamen somit in direkten Austausch mit verschiedensten Menschen aus Ihrem Kiez. Die Reaktionen waren alle positiv, so das die Kinder sich in Ihrem Unternehmen nur noch bestärkt sahen. Sie fühlten sich ernst genommen. Die Erwachsenen hörten Ihnen zu. Nun stellte sich die Frage, was man denn mit all diesen Unterschriften anstellen sollte. Nach einer weiteren Besprechung, entschlossen sich die Kinder dazu, die Listen dem amerikanischen Botschafter zu schicken und hofften somit Einfluss auf die Geschehnisse nehmen zu können. Sie schrieben ihm noch einen kleinen Brief dazu und brachten den Umschlag gemeinsam zum Briefkasten. Und kaum zu glauben, aber sie bekamen ein Antwortschreiben des amerikanischen Botschafters, in dem er sich mit dem Gesagten auseinandersetzte und versuchte Stellung zu beziehen. Auch wenn die Kinder den Krieg nicht verhindern konnten, so haben sie doch gesehen, dass hinter all den Politikern, Stars und Fernsehgesichtern Menschen stehen, mit denen man versuchen kann zu kommunizieren und eventuell Einfluss nehmen kann wenn auch nur in bestimmten Rahmen. Sie fühlten sich wahrhaftig als Teil dieser Welt, der sogar von einem Botschafter ernstgenommen wird. Dies alles wäre ohne das Ladenfenster womöglich nie entstanden.
Aber nicht nur die Ladenfenster sind Kommunikatoren. Nein, es gibt z.B. Fußballturniere an denen anfangs nur die Schülerläden teilnahmen und mit der Zeit auch Schülerclubs der ansässigen Schulen. Außerdem wird jedes Jahr ein Kiezfest von den Schülerläden organisiert. Momentan ist in organisatorischer Kooperation mit der Firma bund design, den Schülerläden und den ansässigen Gewerbetreibenen der Goltzstraße ein großes "Goltzstraßenfest" für den August 2004 in Planung und Entstehung.

4. Wie kam die Kooperation mit der Kiezmeile zu stande und was ist das Ziel dieses Festes in der Goltzstraße?
Im Zuge der der senatsgesteuerten Umstrukturierung des Schulsystems (Einführung der verlässlichen Ganztags-/Halbtags-Grundschule in Berlin ) entwarf das Schönerberger Kiezbündniss der Schülerläden ein Informationspapier, dass sie u.a. in den umliegenden Läden verteilte. Nach kurzer Zeit entstand über eine der Ladenbesitzerin der Kontakt zwischen der "Kiezmeile" und dem Kiezbündniss der Schülerläden. In weiteren Treffen entstanden mehrere Ideen zur Unterstützung der Schülerläden und zur Vernetzung aller ansässigen sozialen Projekte und Gewerbetreibenen. Eine Idee war unter anderem die Planung des "Goltzstraßenfestes". Ziel diese Festes ist es, dass jeder Teilnehmer eine Plattform erhält, auf der er sich darstellen kann. Der Kiez soll zusammenrücken und durch selbstbestimmte und selbstorganisierte Aktionen mehr Wohn- und Lebenskultur schaffen. Ferner wurde eine T-Shirt-Aktion gestartet, bei der 100 T-Shirts mit Themenlogos produziert wurden, die veräußert werden sollen. Jedes verkaufte T-Shirt wird ein Spendenbeitrag erwirtschaften, der an die Schülerläden abgeführt werden soll. Dies soll ein kleiner Beitrag sein, um in dieser ungewisse Zukunft der Schülerläden ein finanzielles Polster zu schaffen, von dem diese profitieren können.

Gleichzeitig wird das Schöneberger Netzwerk im Kiez immer größer und die Kommunikation immer besser und offener.

Was auch nicht vergessen werden sollte, ist der Tatbestand, dass in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft, in der oft ein Nachbar den anderen nicht mal mehr kennt, hier ein Gegengewicht geschaffen wird. Und natürlich ist dieser Kiez nur einer von vielen, in dem solche Prozesse vonstatten gehen.

Auf dass es noch viele mehr werden...

Druckbare Version