Positionspapier

Positionspapier zu Kitakürzungen

Vorbemerkung: Das nachfolgende Positionspapier wurde von der Mitgliedervertretung des DaKS anläßlich der Koalitionsverhandlungen nach den Berliner Abgeordnetenhauswahlen von 2001 verfaßt. Es ist leider immer noch aktuell.

Stellungnahme des DaKS zu den Kürzungsvorhaben im Kitabereich
Im Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS e.V.) sind 360 Elterninitiativen mit 7200 Plätzen organisiert. Der DaKS vertritt die Interessen seiner Mitglieder, darunter befinden sich ca. 90 Schülerläden. Er hat die mit der Senatsverwaltung 1999 vereinbarte Rahmenvereinbarung für die Finanzierung von EKT's unterzeichnet.
Mit Bestürzung haben wir die geplanten Kürzungen im Kita-Bereich zur Kenntnis genommen. Im folgenden möchten wir unsere Position dazu darstellen.

Kitas als sozialer Ort für Berliner Kinder
In der Institution Kindertagesstätte verbringen ein Großteil der Berliner Kinder (im Kindergartenalter sind es fast alle) eine lange Zeit des Tages. Hier treffen sie auf andere Kinder, setzen sich mit ihnen auseinander, erleben sich als Teil einer Gruppe, erwerben damit soziale Kompetenzen. Aber nicht nur das. Hier erforschen Kinder ihre Lebensumwelt, sie machen sich hier ihr Bild von der Welt. Dabei werden sie unterstützt von den Erwachsenen, die in der Kita tätig werden. Das sind nicht nur, wenn auch vorrangig, die ErzieherInnen, sondern auch das Wirtschaftspersonal und die Eltern, so sie sich in der Kita einbringen (in Kinderläden ist dies strukturell notwendig), aber auch andere Erwachsene aus dem Umfeld der Kita.
Für diese "Arbeit" brauchen Kinder Anregung, Begleitung, Raum und Zeit. Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Zeit belegen die große Bedeutung einer qualitativ guten Kindertagesbetreuung für die Entwicklungschancen der Kinder. Auf der anderen Seite ermöglichen die Kitas den Eltern, einer Berufstätigkeit oder einer Ausbildung nachzugehen.

Berliner Lebensverhältnisse
Berlin ist eine Stadt mit vielen Gesichtern. Hier treffen viele Einflüsse aufeinander, insbesondere verschiedene Kulturen (Ost/West, Deutsche/Nichtdeutsche) stehen in einem Spannungsverhältnis. Wie in jeder Großstadt gibt es eine große Zahl von Scheidungs- und Trennungsfamilien und damit einen hohen Anteil von Alleinerziehenden. Die sozialen Netze von Großfamilien sind kaum noch vorhanden, der Arbeitsweg vieler Eltern ist lang. Die Frauenerwerbsquote ist hoch, im Ostteil bei den bis 50-jährigen Frauen weiterhin über 90%.
Die wachsende Bebauungs- und Verkehrsdichte läßt ein freies Umherstreifen der Kinder kaum noch zu. Es gibt eine große Minderheit ausländischer Mitbürger. Ihr Anteil ist nicht gleichmäßig über die Stadt verteilt. Deutlich höher als im Ostteil und in den Außenbezirken ist er in den westlichen Innenstadtbezirken. Dort häufen sich die sozialen Probleme. Der Bildungsgrad ist ebenfalls recht unterschiedlich. Der regelmäßig herausgegebene Sozialstrukturatlas zeigt die signifikanten Unterschiede zwischen den Quartieren deutlich. Viele Familien nehmen Hilfen zur Erziehung in Anspruch, deren Kosten in den letzten 5 Jahren um 40% angestiegen sind.

Berliner Kitalandschaft
Berlin hat insgesamt 152.000 Kita-, Vorklassen- und Tagespflegeplätze. Davon sind 31.000 Krippenplätze, 84.000 Kindergartenplätze (darunter 10.000 Plätze in Vorklassen) und 37.000 Hortplätze. Insgesamt sind 40.000 Kitaplätze in freier Trägerschaft. 13.000 davon, also ein Drittel, stellen Kinder- und Schülerläden.
Außerdem gibt es noch 26.000 Hortplätze an Ganztagsschulen bzw. im offenen Ganztagsbetrieb. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind bis auf den Rechtsanspruchsbereich Kindergarten mit einer 100%igen Versorgung aller Kinder immer noch beträchtlich. Im Krippenbereich gibt es im Ostteil einen Versorgungsgrad von 53%, im Westteil dagegen nur 29%. Im Hortbereich ist der Unterschied ebenfalls deutlich (Ost 44%, West 31%).
Viele Plätze sind Ganztagsplätze, allein im Kindergartenalter haben 73% der Kinder einen Ganztagsplatz.
Der Anteil freier Träger ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Im Westteil beträgt er 36%, im Ostteil dagegen nur 20%. Von den 13.000 Kinder- und Schülerladenplätzen sind nur 500 im Ostteil beheimatet.

Rechtsgrundlagen
Die Aufgabe der Tagesbetreuung umfaßt Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes (§ 22 KJGH). Für jedes Kind besteht ab vollendetem 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Dieser Platz muß mindestens 5 Stunden umfassen. Für Ansprüche darüber hinaus und für Krippen- und Hortplätze ist der örtliche Träger der Jugendhilfe verpflichtet nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Diese Aufgabe ist keine freiwillige oder in ihrer Ausfüllung beliebige, sondern stellt eine gesetzliche Leistungsverpflichtung dar. Eine Bereitstellung von Plätzen nur bei Notlagen der Kinder und Eltern ist nicht statthaft.

Berlin im Vergleich mit anderen Bundesländern
Berlin als "ostdeutsches" Bundesland wird gern mit westdeutschen Bundesländern verglichen. Dieser Vergleich greift zu kurz, weil die unterschiedlichen Ausgangslagen nicht betrachtet werden. Die Versorgungssituation mit Kitaplätzen ist in Berlin gut, mithin in Zeiten der bundesweiten Diskussion um den Ausbau der Ganztagsbetreuung ein Standortvorteil der Stadt. Andere Bundesländer wie Bayern und Hessen legen zur Zeit millionenschwere Programme zum Ausbau der Kitaplätze auf.
Bei der Personalbemessung liegt in Berlin im Vergleich der Bundesländer im Mittelfeld. Von einem Ausstattungsvorsprung beim Personal kann nicht geredet werden. Hamburg hat im Vergleich zu Berlin eine deutlich bessere Ausstattung, z.B. im Krippenbereich (ganztags, mit Leitungsanteil) fast 30% mehr. Brandenburg liegt dagegen am unteren Ende der Bundesländer. Allerdings sind hier die Voraussetzungen als Flächenland auch deutlich andere.
Der Anteil freier Träger ist in Berlin mit 30% im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gering. Selbst die ostdeutschen Länder haben fast alle einen höheren Anteil. Hamburg hat quasi 100% freie Träger (die "Vereinigung städtischer Kitas" hat etwa 40% der Plätze), ostdeutsche Städte wie Potsdam, Rostock, Frankfurt/Oder haben keine eigenen Kitas mehr.

Kostenvergleich zwischen öffentlichen und freien Kita-Trägern
Freie Träger werden seit 1999 im Rahmen eines Leistungsvertrages einheitlich nach vereinbarten Kostensätzen finanziert. Sie erhalten 91% der Kosten und müssen 9% Eigenanteil erbringen. Mit der bezirklichen Kosten- und Leistungsrechnung ist jetzt ein (teilweise allerdings mit Vorsicht zu genießender) Vergleich der Kosten möglich. Danach kosten im Jahre 2000 94.566 städtische Kitaplätze 1,405 Milliarden Mark und die Freien Träger verursachen 432 Mio DM Kosten für 41.635 Plätze.
Ca. 200 Mio DM könnten gespart werden, wenn die existierenden städtischen Kitaplätze zu 100% nach dem Kostensatz der freien Träger finanziert würden. Das Problem ist dabei nicht eine Überausstattung im pädagogischen Bereich (240 offene Stellen gibt es im städtischen Bereich) oder eine übermäßige Sachmittelausstattung (gespart wird am Essen, am Spiel- und Beschäftigungsmaterial und der baulichen Unterhaltung), sondern der sehr hohe Anteil von Umlagekosten. Dies sind insbesondere Verwaltungskosten im Bezirksamt.

Folgen der angedachten Sparmaßnahmen
Die angedachten Sparmaßnahmen sollen im Kita-Bereich 2000 Stellen einsparen. Kinder hätten spürbar weniger Raum und Zeit sich in der Institution Kita zu entfalten.
Die Motivation der Mitarbeiterinnen in den städtischen Kitas würde deutlich sinken. Der Kita-Bereich war in den letzten Jahren schon überdurchschnittlich von Sparmaßnahmen betroffen. Für die direkte Arbeit mit den Kindern steht immer weniger Geld zur Verfügung.
Auch bei den freien Trägern würden die Standardabsenkungen die Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtern.
Kinder- und Schülerläden mit meist 15 bis 20 Plätzen werden in ihrer Existenz bedroht. Ehrenamtliches Engagement der Eltern scheint im Internationalen Jahr des Ehrenamts keine Anerkennung zu finden. Der größte Teil der Schülerläden würde eine Senkung der Personalbemessung von 16 auf 21 Kinder pro Erzieherin (als Schülerladen) nicht überleben. Ein wesentlicher Bestandteil der Hort-Infrastruktur in den Westbezirken würde somit wegbrechen.
Eltern sollen durch höhere Kitakostenbeteiligungsbeiträge belastet werden und dafür mit schlechteren Standards "belohnt" werden. Welche Wertschätzung die Eltern daraus für sich und ihre Kinder ableiten, dürfte, auch nach den gegensätzlichen Wahlversprechen, jedem klar sein.
Die absehbare Arbeitslosigkeit von Erzieherinnen (zuerst wirksam im freien Trägerbereich, da er keine Beschäftigungsgarantie bieten kann) belastet den Haushalt und führt zu verringerten Einnahmen. Dabei hat die Stadt Zürich gerade in einer Studie errechnet, das jeder Franken, der für Kita-Betreuung eingesetzt wird, einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 3 bis 4 Franken erbringt.

Lösungsansätze
Wir sind strikt dagegen, das sich innerhalb eines halben Jahres verdreifachte Berliner Haushaltsloch von 10 Milliarden Mark jetzt vorrangig auf den Bildungsbereich, und damit auch den Kitabereich, abzuwälzen.
Bildung fängt in der Kita an. Die Bedeutung der Kita z.B. für den Spracherwerb erfordert eigentlich zusätzliche Personalmittel. Im Gegensatz dazu wurde in den letzten Jahren im Kita-Bereich gespart. Das ist keine Lösung und beeinträchtigt die Entwicklungschancen vieler Kinder und damit die Zukunftsfähigkeit der Stadt.
Daß kurzfristig gespart werden muß ist klar. Aber an die pädagogischen Standards von Kita und Schule muß dabei nicht gedacht werden.
Wir schlagen dagegen bessere und straffere Verwaltungsstrukturen im Kitabereich in den Bezirken vor. Ob das eine Ausgliederung der städtischen Kitas oder eine vollständige Übertragung an freie Träger bedeutet muß genauer geprüft werden. Ziel muß sein, die Qualität der Kitas nicht zu senken, sondern zu erhöhen.
Außerdem sollte schnellstmöglich eine Vereinheitlichung der Finanzierung aller Kitas nach dem Kostenblatt der freien Träger (allerdings mit realistischen Raumkosten) erfolgen. Damit sollte eine Zweckbindung der Mittel im städtischen Bereich einhergehen.
Der DaKS sieht besonders im Ostteil in den nächsten Jahren noch einen Bedarf von zumindest 2.000 Kinder- und Schülerladenplätzen. Die Bedarfsdeckung können wir durch qualifizierte Gründungsberatung unterstützen. In diesen Neugründungen können auch Erzieherinnen aus den städtischen Kitas ihren Arbeitsplatz finden.
Kitas müssen aus unserer Sicht als Teil einer komplexen Jugendhilfe betrachtet werden. Die hohen Kosten der Hilfen zur Erziehung können u.a. durch eine bessere Kitaqualität gesenkt werden. Dazu bedarf es eines niedrigschwelligen Zugangs zu Kitas für alle Bevölkerungsschichten. Der Versuch, gerade für soziale Problemgruppen den Kita-Zugang einzuschränken, könnte sich langfristig als teure Maßnahme herausstellen.
Berlin braucht Kinder und Kinder brauchen in Berlin das Gefühl willkommen zu sein - auch und gerade in den Bildungseinrichtungen.

Norbert Bender, Roland Kern, DaKS e.V., Mitgliedervertretung

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